"Meine vierjährige Tochter hat Wutanfälle, aus denen sie schwer wieder herauskommt und ich auch oft ratlos bin. Es ist keine Seltenheit, dass sie am Stück 30-40 Minuten lang schreit, und immer wieder das wiederholt, was sie jetzt gerne tun möchte oder haben will. Manchmal geht das aber halt nicht. Ich tröste sie, halte sie, trage sie - mit Worten komme ich in so einem Anfall ohnehin nicht weiter und mit Schimpfen natürlich auch nicht. Aber sie kreischt und strampelt, und es ist ehrlichgesagt schwer für mich, das fast täglich auszuhalten, ich stehe manchmal kurz vor dem Gehörsturz und trage oft einen Lärmschutz." In diesem Blog gebe ich praktische Tipps und Impulse, was du konkret tun kannst, wenn dein Kind auch intensive Gefühlsausbrüche hat. Ich bin gespannt, wie dir dieser Blog gefällt !
Heute möchte ich auf eine Frage aus der Community eingehen. Und zwar hat mich folgende Frage erreicht:
"Meine 4-jährige Tochter hat Wutanfälle, aus denen sie schwer wieder herauskommt, und ich bin oft ratlos. Es ist keine Seltenheit, dass sie 30–40 Minuten am Stück schreit und immer wieder wiederholt, was sie haben oder tun möchte. Manchmal geht das aber nicht. Ich tröste sie, halte sie, trage sie. Mit Worten komme ich bei so einem Anfall ohnehin nicht weiter – und mit Schimpfen natürlich auch nicht. Doch ehrlich gesagt ist es schwer für mich, das auszuhalten. Ich stehe oft kurz vor einem Gehörsturz und trage häufig einen Lärmschutz."
Erstmal vielen Dank für diese Frage! Da stecken schon sehr viele Informationen drin.
Zunächst einmal finde ich es schön, dass du bereits viel reflektiert hast und erkannt hast, dass deine Tochter dir nichts Böses will – dass es einfach ihr eigenes Thema ist. Außerdem hast du auch erkannt, dass deine eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt werden und deine Grenzen im Hinblick auf die Lautstärke überschritten werden. Ich weiß nicht, ob das nur physisch oder auch psychisch der Fall ist – jedenfalls hast du mit dem Gehörschutz bereits eine gute Lösung gefunden.
Als Erstes würde ich dir raten, bei dir selbst anzufangen: Wie geht es dir gerade? Was brauchst du? Was macht diese Situation mit dir?
Denn nur wenn du nicht selbst in deiner eigenen Wut oder Hilflosigkeit gefangen bist, kannst du für dein Kind da sein. Alles andere spürt dein Kind – wenn du nicht voll da und anwesend bist, kann es sich auch nicht so sehr von dir tragen oder halten lassen. Wenn es im ersten Moment nötig ist, dass du den Gehörschutz aufsetzt und erstmal eine Runde durchatmest, dann ist es wichtig, dass du dem nachgibst. Sobald du in dir diese Ruhe, Klarheit und Ausgeglichenheit gefunden hast, kannst du dich deiner Tochter zuwenden.
Du hast ja bereits geschrieben, dass du sie hältst, tröstest und dass sie immer wieder wiederholt, was sie möchte. An dieser Stelle möchte ich dir einen Impuls mitgeben: Wenn wir unsere Kinder trösten, erklären wir oft, warum etwas nicht geht.
Beispielsweise: Das Kind möchte auf der Couch springen, aber wir möchten das nicht, weil es zu laut ist oder die Couch dabei kaputt gehen könnte. Dann erklären wir oft: „Ja, das geht aber nicht.“
Doch Trost bedeutet, verstanden und gesehen zu werden.
Du kannst das Bedürfnis deines Kindes spiegeln, anstatt nur zu erklären, warum es nicht geht. Zum Beispiel so:
"Du möchtest auf der Couch hüpfen? Ja, du möchtest jetzt so gerne auf der Couch hüpfen! Du würdest jetzt so gerne auf der Couch hüpfen. Ja, ich sehe das. Ich höre, dass du auf der Couch hüpfen möchtest!"
Das musst du nicht genauso oft wiederholen – hör auf dein Bauchgefühl. Ich möchte dir nur erklären, dass jemand, der so stark in seiner Wut ist, oft das Gefühl hat, nicht wahrgenommen zu werden.
Deine Tochter wiederholt es wahrscheinlich immer wieder, weil sie mit ihrem Wunsch oder Bedürfnis gesehen werden möchte. Wenn du ihr immer wieder spiegelst, was sie möchte (ohne erneut zu erklären, warum es nicht geht – denn das weiß sie ja schon), kann das eine innere Entspannung für sie bewirken. Oft reicht das Gefühl, verstanden zu werden, damit Kinder schneller aus einem Gefühlsausbruch herauskommen.
Was auch wichtig ist:
Wir sollten Verständnis für die Gefühle unserer Kinder aufbringen – das tust du bereits. Denn auch wenn wir manche Dinge nicht verstehen oder nicht möchten, bedeutet das nicht, dass die Gefühle unserer Kinder nicht gerechtfertigt sind. Sie haben immer eine Berechtigung, auch wenn sie uns noch so unlogisch erscheinen.
Beispielsweise: Dein Kind möchte im Sommer Schlitten fahren. Auch wenn das absolut nicht möglich ist, darf es trotzdem traurig, wütend oder frustriert sein. Es geht nicht darum, Kinder aus der Wut herauszuholen oder den Anfall zu beenden, sondern darum, ihnen den Raum zu geben, ihre Wut zu fühlen.
Wir Eltern möchten, dass unsere Kinder möglichst wenig weinen, nicht leiden, nicht schreien, nicht wütend oder traurig sind – weil wir sie lieben und wollen, dass es ihnen gut geht. Doch seelisch und emotional geht es ihnen nur dann wirklich gut, wenn ihre Gefühle da sein dürfen und sie diese frei ausdrücken können.
Bleiben wir beim Beispiel mit der Couch: Dein Kind darf aus verschiedenen Gründen nicht darauf hüpfen – Gründe, die dir klar sind. Dann kann es sinnvoll sein, genauer hinzuschauen:
- Welches Bedürfnis steckt eigentlich dahinter?
- Ist es der Drang nach Bewegung oder einfach der Wunsch, Spaß zu haben?
- Sucht dein Kind vielleicht Aufmerksamkeit oder Nähe?
Erlaube dir, hier auszuprobieren:
➡Wenn es um Bewegung geht, könntet ihr gemeinsam rausgehen oder anders toben.
➡Falls es um Aufmerksamkeit oder Nähe geht, kann gemeinsames Spielen helfen.
Mit der Zeit wirst du ein immer besseres Gespür dafür entwickeln. Oft steckt hinter einem Wutanfall viel mehr als nur diese eine Sache. Vielleicht war der Tag deines Kindes einfach zu voll, es hat zu viel erlebt und fühlt sich überfordert – dann wird die Couch zum Ventil, um angestaute Emotionen loszulassen. Wenn du dir dessen bewusst bist, kannst du ganz anders auf die Situation reagieren.
Es spielt auch eine Rolle, wie weit deine Tochter kognitiv entwickelt ist. Unabhängig vom Alter befinden sich Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, und jedes Kind ist individuell. Was es gerade braucht, ist von Kind zu Kind verschieden.
Du kannst deiner Tochter auch ganz klar sagen:
"Mir ist es wichtig, dass du deine Gefühle fühlen darfst. Ich bin für dich da. Ich liebe dich, aber ich habe ein Problem mit Lautstärke. Meine Ohren sind empfindlich, und ich habe Angst, dass sie durch zu viel Lärm geschädigt werden. Deshalb möchte ich dich in deiner Wut begleiten, aber ich brauche diesen Gehörschutz."
Ich weiß nicht, wie sie darauf reagiert, aber du kannst sie fragen:
"Was kannst du stattdessen tun?"
Lass diese Frage bewusst offen, anstatt konkrete Vorschläge wie „Möchtest du ins Kissen schreien oder kurz rausgehen?“ zu machen. Du wirst überrascht sein, welche Ideen Kinder selbst entwickeln!
Es ist auch wichtig, in diesem Prozess geduldig zu bleiben. Deine Tochter wird nicht von heute auf morgen aufhören zu schreien – es ist ein schrittweiser Entwicklungsprozess.
Gegenseitige Bedürfnisse im Blick behalten
Es ist wichtig, deine Tochter in ihren Gefühlen zu sehen, aber genauso auch dich und deine eigenen Bedürfnisse. Nur so kann es ein Miteinander werden. Deine Tochter wird niemals absichtlich deine Ohren schädigen wollen. Sie ist in diesen Momenten so stark in ihrer Emotion gefangen, dass sie nicht über den Tellerrand blicken kann. Doch Gespräche über diese Themen können langfristig viel bewirken.
Das bedeutet nicht, dass es keine Grenzen geben darf. Du kannst Alternativen aufzeigen, anstatt einfach nur „Nein, so geht das nicht“ zu sagen. Falls dich das Thema Grenzen interessiert, kannst du dir gerne noch einmal meinen Blogbeitrag dazu durchlesen.
Du hast auch erwähnt, dass du deine Tochter hältst und tröstest. Die Frage ist:
- Braucht sie das wirklich?
- Oder würde es ihr auch helfen – ja, vielleicht sogar besser tun –, wenn sie einfach weiß, dass du in ihrer Nähe bist, ohne direkten Körperkontakt?
Das könnte für dich eine geringere Belastung in Bezug auf die Lautstärke sein. Wir Erwachsenen neigen dazu, in solchen Situationen danach zu handeln, was uns selbst guttut. Aber es ist wichtig, dem Kind den Raum zu geben, die Situation so zu erleben, wie es für ihn oder sie am besten ist. Wutanfälle sind Teil eines natürlichen Integrations- und Gehirnreifeprozesses.
Sehr wichtig ist auch, dass dein Kind nach einem Wutanfall erfährt, dass alles in Ordnung ist – dass niemand ihm böse ist oder ihm Schuld gibt. Falls du Schwierigkeiten mit der Lautstärke hast, kannst du das ansprechen, aber immer in dem Bewusstsein, dass dein Kind in dem Moment einfach nicht anders konnte.
Denn keine Sorge: Mit 18 wird sie nicht mehr so laut rumschreien!
Das ist eine normale Phase, und mit der Zeit wird sie lernen, ihre Emotionen besser zu regulieren.
- Wie oft treten die Wutanfälle auf?
- Du hast erwähnt, dass das fast täglich passiert. Dann könnte es hilfreich sein, euer Umfeld und eure Strukturen zu reflektieren:
- Gibt es bestimmte Muster oder Situationen, die häufig zu Wutanfällen führen?
Gibt es Veränderungen im Tagesablauf, die helfen könnten?
Kannst du Frühwarnzeichen erkennen?
Gerade nach einem langen Tag im Kindergarten, wenn sich dein Kind anpassen musste und vielleicht zu wenig Raum für eigene Bedürfnisse hatte, könnte es helfen, bewusst Verbindungsmomente einzuplanen. Zum Beispiel:
➡Eine gemeinsame Kuscheleinheit ohne Ablenkung
➡Eine bewusste Runde auf den Spielplatz
➡ Ein kleines Ritual nach dem Kindergarten, das Sicherheit gibt
Achte auch darauf, wann und warum du „Nein“ sagst.
Oft sagen wir aus einem Reflex heraus „Nein“, obwohl wir es gar nicht so meinen – einfach weil wir gestresst sind und Ruhe brauchen. Das ist völlig normal! Aber vielleicht kannst du deinen Alltag so anpassen, dass du dir bewusst Ruhemomente einbaust, damit du in den entscheidenden Momenten wirklich für dein Kind da sein kannst.
Wie sehr kümmerst du dich also um dich selbst? Nimmst du dich wichtig?
Wie kannst du sicherstellen, dass du emotional stabil bist?
Zusammenfassung:
✅ Schau auf dich: Sorge dafür, dass du emotional stabil bist, um für dein Kind da sein zu können.
✅ Begegne deiner Tochter mit Verständnis und Empathie.
✅ Übe ein einfühlsames Trösten, das nicht nur erklärt, warum etwas nicht geht, sondern vor allem zeigt: „Ich sehe dich und deine Gefühle.“
✅ Erkenne Frühwarnzeichen und reflektiere Strukturen, die eure Tage erleichtern können.
✅ Vertraue darauf, dass dein Kind mit der Zeit lernt, mit seiner Wut umzugehen.
Hab eine schöne Woche,
Deine Leonie !